Was ist der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Entspannung?

Was ist der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Entspannung?

Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Achtsamkeit und Entspannung?

Kann Achtsamkeit oder Entspannung auch für sich alleine stehen oder bedingen sie einander?

Profitiert Achtsamkeit von Entspannung oder umgekehrt?

Entspannung

Stress ist in der heutigen Zeit allgegenwärtig. Oft fehlen die Zeit und die Möglichkeiten für einen aktiven Ausgleich. Häufiger und andauernder Stress kann krank machen. Entspannungsmethoden helfen beim Umgang mit Stress. Sie können zum Erhalt der Gesundheit beitragen oder präventiv vorbeugen. Sie sind kein Allheilmittel und dennoch sehr nützlich.

Ich gebe dir hier einen Überblick über die gängigsten Entspannungsverfahren:

Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen

Der amerikanische Physiologe Edmund Jacobson (1885–1976) gilt als der Begründer der progressiven Muskelentspannung. Er entdeckte eine deutlich erhöhte Muskelspannung bei Gefühlen wie Unruhe, Erregung oder Angst. Wird nun eine Muskelgruppe willkürlich angespannt, eine kurze Zeit im angespannten Zustand gehalten und dann losgelassen, tritt eine spürbare Entspannung ein, die sich auch auf weitere Körperteile verteilt. In einer bestimmten Reihenfolge werden so Körperteile und Regionen nacheinander bewusst angespannt und entspannt. Allmählich entwickelt sich ein Bewusstsein für übermäßige und normale Anspannung.

Das Training der progressiven Muskelentspannung führt zu mehr Ruhe und Gelassenheit und verbessert allgemein die Stressverträglichkeit.

Autogenes Training

Der deutsche Arzt Johannes H. Schultz (1884–1970) entwickelte das autogene Training. Er hatte sich lange mit Hypnose beschäftigt und kannte die Wirkung von Suggestionen. Seine Idee war, über eine Selbsthypnose in einen Zustand der Entspannung zu gelangen. Anders als bei der progressiven Muskelentspannung nach Jacobsen wird der entspannte Zustand nicht durch willkürliche Anspannung und Entspannung erreicht, sondern durch gedankliche Konzentration. Durch die Selbsthypnose oder Autosuggestion wird das vegetative Nervensystem aktiviert, also Puls, Blutdruck, Atmung. Ist das vegetative Nervensystem aktiviert, tritt die gewünschte Entspannung ein.

Yoga

Der Ursprung des Yoga liegt in Indien, ist mindestens 3500 Jahre alt und war damals eine rein meditative Praxis. Die Körperübungen, die sogenannten Asanas, kamen erst später hinzu. Die erste Yogaschule in Deutschland entstand 1920 in Berlin. Durch zahlreiche äußerliche Einflüsse hat sich der Yoga weiterentwickelt, sodass es inzwischen verschiedene Yogastile gibt. Eines ist allen gemeinsam: die Menschen physisch und psychisch vom Leiden zu befreien.

Neben zahllosen Körperübungen, den Asanas werden Atemübungen, Entspannung und Meditation gelehrt. In einer Yogastunde werden auch alle diese Methoden geübt. In den Asanas werden bestimmte Körperregionen angespannt, dann wird die Haltung aufgelöst und nachgespürt, Entspannung tritt ein. Während der Atemübungen und Meditation wird das vegetative Nervensystem aktiviert. Die Entspannungsübung am Ende rundet die Yogastunde ab.

Das Ziel von Yoga ist, die eigene Gesundheit und Beweglichkeit zu verbessern und den Geist zu beruhigen. Auf diese Weise tritt Entspannung ein.

Was passiert, wenn der Körper sich entspannt?

Die unterschiedlichen Entspannungstechniken unterscheiden sich in der Art der Ausführung, haben dennoch viel gemeinsam:

  • Selbstkontrolle und Selbstwirksamkeit entsteht
  • die Konzentration steigt
  • durch die Anregung des vegetativen Nervensystems kommt es zu einer Beruhigung
  • die Skelettmuskulatur entspannt sich
  • Gefäße weiten sich und es kann zu einer Bkutdrucksenkung kommen
  • die Atmung wird ruhiger

Achtsamkeit

Achtsamkeit ist die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu richten und den daraus folgenden Eindrücken, Gedanken und Gefühlen mit Neugierde, Offenheit und Akzeptanz zu begegnen.

Eine Methode, mit der du mittels der Achtsamkeitspraxis erlernst, ganz im jeweiligen Moment zu sein. Alles, was geschieht, ob angenehme, unangenehme oder neutrale Erfahrungen, werden ohne Bewertung, Widerstand oder Interpretation betrachtet.

Dabei wird eine Haltung sich selbst gegenüber entwickelt, um eigene Bedürfnisse, Gewohnheitsmuster und Wünsche klar zu erkennen. Dadurch kann der Umgang mit schwierigen Situationen, Gedanken und Gefühlen verändert werden.

Achtsam sein bedeutet, den Ereignissen im Alltag, den eigenen Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen mit einer bewussten, wertschätzenden und offenen Art und Weise zu begegnen. Körper und Geist ruhen dabei in der Gegenwart. Anstelle mit reflexartigen oder gewohnheitsmäßigen Handlungen zu reagieren, werden die Situationen des Lebens mit Wachheit erforscht.

Achtsamkeit ist eine Trainingsmethode für den Geist. Dabei werden Konzentration, Klarheit und Gelassenheit mehr und mehr entwickelt. 

Konzentration ist die Fähigkeit, sich auf etwas auszurichten und zu konzentrieren, was gerade jetzt in diesem Moment von Bedeutung ist.

Klarheit führt dazu, sich selbst bewusst wahrzunehmen, sich selbst bewusst zu sein. Es bedeutet, die eigenen Handlungen, Gedanken und Gefühle zu beobachten, wahrzunehmen und reflektieren zu können, ohne sich damit zu identifizieren.

Gelassenheit ist die Fähigkeit, die Dinge im Geist kommen und gehen zu lassen, ohne sie zu verdrängen oder daran festzuhalten.

Es geht also gar nicht darum, etwas bestimmtes erreichen zu wollen oder etwas zu verdrängen, sondern die Eigenverantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. So entwickelt sich ein wachsendes Vertrauen in sich selbst und in die eigenen Stärken. Mehr Freude und Offenheit dem Leben gegenüber entstehen. Mit wachsender Gelassenheit kann den Anforderungen des Alltags entspannter begegnet werden, größere Handlungsspielräume entstehen und es entwickelt sich mehr Freiheit im Geist. 

Das Achtsamkeitstraining beinhaltet verschiedene körperliche und meditative Übungen. Da die Menschen unterschiedlich veranlagt sind und jede/r verschiedene Vorlieben hat, kann jede/r für sich seine zu ihr oder ihm passende Übungen herausfinden. Du beschäftigst dich intensiv mit Bodyscan, Yoga, Gehmeditation, Atemmeditation und Sitzmeditation.

Was ist nun der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Entspannung?

Die Ziele sind unterschiedlich.

Bei den gängigen Entspannungsverfahren lernst du Methoden, deinen Körper zu entspannen. Dabei steht der entspannende Effekt im Vordergrund. Durch Übung und Anwendung der Entspannungsmethoden wird dann im weiteren Verlauf deine Aufmerksamkeit und deine Achtsamkeit geschult. Achtsamkeit wiederum lässt dich schneller und genauer Anspannungen im Körper aufspüren.

Ziele von Entspannungsübungen sind:

  • Ruhe und Entspannung, indem du erlernst, wie du selber Entspannung erreichen kannst.
  • Stressabbau; Entspannung kann helfen, weniger gestresst zu sein.
  • das Erkennen von Belastungen.
  • mehr Verantwortung für das eigene Wohlbefinden zu übernehmen.
  • Steigerung der Lebensfreude, denn in einem entspannten Körper wohnt ein entspannter Geist.

Achtsamkeit ist ein bewusster Geisteszustand. Mit Körper, Geist, Gefühlen und Sinneseindrücken nimmst du dich selbst und deine Umwelt wahr und akzeptierst, was in diesem Moment ist, ohne Wenn und Aber.

Ziele in der Achtsamkeit sind

  • Training eines Bewusstseinszustandes, in dem du die Gegenwart bewusst wahrnimmst und akzeptierst.
  • Du lernst dich selber immer besser kennen, besonders deine Gedanken und deine Gefühle.
  • Stärkung der Resilienz gegenüber Krisen.
  • Durch die Übungen wird akuter Stress reduziert, Gelassenheit und Entspannung tritt ein.

Fazit

So unterschiedlich die Methoden sind, gibt es dennoch einige Überschneidungen. Wie oben beschrieben ist der Fokus des Trainings jeweils etwas anders. Alle Methoden trainieren die Achtsamkeit und wirken entspannend. Entspannungstechniken und Achtsamkeit werden oft in Kursen angeboten. Hier kannst du in 6 bis 8 Wochen die Grundtechniken kennen lernen. Ob eine Methode langfristig wirkt, hängt vor allem davon ab, ob du zu Hause alleine weiter übst. Egal ob Achtsamkeit oder Entspannungmethoden, es ist wichtig zu üben in Zeiten in denen es dir gut geht. Also eigentlich zu einer Zeit, wo vielleicht noch gar nicht die Notwenigkeit vorhanden ist. Bist du mit deiner Technik vertraut, so entsteht viel Sicherheit in der Anwendung in schwierigen Lebensphasen.

Bei allen unterschiedlichen Methoden gilt es für dich das richtige Maß an Entspannung und Achtsamkeit zu finden. Oft wird der Vergleich zu Musikinstrumenten gezogen. Ist zum Beispiel bei einer Geige eine Saite zu wenig gespannt, kann kein Ton gespielt werden. Ist sie zu stark gespannt, wird die Saite reißen. Nur wenn die Saite exakt die richtige Spannung hat, ertönt ein wohlklingender Ton. Genauso verhält es sich auch in unserem Leben. Ein zu viel an Spannung führt zu Stress und Belastung, im schlimmsten Fall zu einem Burnout oder einem Zusammenbruch. Ein zu wenig an Spannung macht uns müde, träge und lustlos.

Welche Methode wird wohl für dich geeignet sein, Achtsamkeit und Entspannung ins Leben zu integrieren: achtsam entspannt oder entspannt achtsam?

Liebe Grüße, Birgit

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3 Kommentare
  • Heiko Metz
    Posted at 16:28h, 05 März Antworten

    Eine schöne Übersicht, die die Unterschiede deutlich macht.
    Bei mir – gerade auf Reha – ist ganz viel Entspannung angesagt, damit Achtsamkeit überhaupt wieder „möglich“ wird.
    Viele Grüße
    Heiko

  • Angelika Klein
    Posted at 13:52h, 04 März Antworten

    Liebe Birgit,
    ein sehr interessanter Artikel, der mich anspricht, weil ich einige dieser Methoden schon ausprobiert habe und an den meisten scheiterte. Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen und Autogenes Training funktionierten bei mir überhaupt nicht, weil ich mich nicht auf die Übungen konzentrieren konnte. Bei Yoga kann ich mich zwar auch oft nicht konzentrieren, mache die Asanas aber trotzdem und merke, dass sie mir guttun. Ich lernte Yoga vor einigen Jahren in der Reha, als mich ein Burnout dorthin brachte. Danach kaufte ich mir eine DVD, mit der ich nun schon seit über fünf Jahren übe. Ich meine, dass ich dadurch auch achtsamer wurde und ein besseres Gefühl für meine Bedürfnisse und Befindlichkeiten entwickelt habe. Ich würde mich daher der Fraktion „entspannt achtsam“ zuordnen.
    Liebe Grüße,
    Angelika

  • Pingback:KW09/2024: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society
    Posted at 03:24h, 04 März Antworten

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