01 Nov Die sieben + zwei Säulen der Achtsamkeit
Die sieben (plus zwei) Säulen der Achtsamkeit, auch bekannt als die sieben Grundhaltungen der Achtsamkeit, stammen ursprünglich aus den Lehren von Jon Kabat-Zinn. Er entwickelte vor mehr als 40 Jahren die Praxis der Achtsamkeit. Diese Haltungen sind essenziell, um eine achtsame Lebensweise zu entwickeln und zu pflegen. Sie sind wie eine Art Kompass, der uns durch die Herausforderungen des Alltags leitet und uns hilft, in jedem Moment gegenwärtig zu sein. In diesem Artikel werde ich auf jeden einzelnen Aspekt eingehen und dir eine meditative Übung dazu vorstellen.
Nicht-Urteilen
Der Kern der Achtsamkeit liegt darin, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind, ohne sie direkt als „gut“ oder “schlecht” zu bewerten. Allerdings ist es eine menschliche Gewohnheit, unsere Umgebung, andere Menschen und uns selbst sofort zu beurteilen. Ebenso kategorisieren auch unsere Gedanken und Gefühle in gut, schlecht oder neutral. Wir wollen unbedingt etwas haben oder nicht haben, Anhaften oder Abneigung entsteht dabei. Mit der Achtsamkeitspraxis werden wir uns dieser Gewohnheit unserer Bewertungsmuster bewusst. So schaffen wir durch das Üben von Nicht-Uurteilen mehr Raum für Klarheit und Akzeptanz.
Übung: Die Atem-Meditation hilft dir dabei, das Nicht-Urteilen zu üben. Setze dich dazu einen ruhigen Ort, schließe die Augen und konzentriere dich auf deinen Atem, so gut es gerade geht. Bemerke, spüre, fühle oder beobachte, wie dein Atem ganz natürlich kommt und geht. Du atmest ein und atmest aus, immer wieder. Vielleicht sind da Gedanken über das richtige Atmen; vielleicht möchtest du Atmung verändern, tiefer einatmen oder länger ausatmen; vielleicht sind da auch urteilende Gedanken. Sobald dir so etwas bewusst wird, mache einfach mit dem Ein- und Ausatmen weiter. Es gibt kein Richtig und kein Falsch – die Atmung ist da und du beobachtest.
Geduld
Geduld ist das Vertrauen, dass sich die Dinge in ihrem eigenen Tempo entwickeln. Manchmal wollen wir Ergebnisse sofort sehen oder Veränderung erzwingen. In einem afrikanischen Sprichwort heißt es: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Geduld erinnert uns daran, dass jeder Moment seine Zeit braucht. In der Achtsamkeit lernen wir, auf den natürlichen Verlauf zu vertrauen und das Tempo des Lebens zu akzeptieren.
Übung: Wenn du das nächste Mal meditierst und du bemerkst eine innere Unruhe oder hast das Bedürfnis, deine Meditation jetzt zu beenden, dann nehme die noch ein oder zwei Minuten und zögere so dein Mediationsende ein klein wenig hinaus.
Anfängergeist
Anfängergeist bedeutet, jeden Moment so zu erleben, als wäre es das erste Mal. Allerdings ist es oft so, dass, wenn wir einem Problem oder etwas Neuem gegenüberstehen, wir schon eine bestimmte Vorstellung von der Lösung im Geiste haben. Wenn wir alte Überzeugungen und Annahmen loslassen, öffnen wir uns für neue Erfahrungen und Perspektiven. Diese Haltung hilft uns, gewohntes mit frischen Augen zu sehen und uns von Routine und Monotonie zu lösen.
Übung: Nimm dir einen bekannten Gegenstand und betrachte ihn so, als würdest du ihn das allererste Mal in deinem Leben sehen. Was kannst du alles Neues dabei entdecken? Oder gehe hinaus in die Natur und höre die Geräusche um dich herum, ganz unvoreingenommen, ohne dabei die Geräusche direkt zu benennen. Eine wunderbare Übung, um den Anfängergeist zu trainieren, ist die Rosinenübung, die du natürlich auch mit anderen Lebensmitteln durchführen kannst.
Vertrauen
Vertrauen ist das Fundament einer achtsamen Praxis, sowohl in uns selbst als auch in den Prozess der Achtsamkeit. Wir lernen, unserer Intuition und inneren Weisheit zu vertrauen und uns selbst als kompetent und fähig wahrzunehmen. Durch Vertrauen in uns selbst stärken wir unser Selbstbewusstsein und unsere Zuversicht. Vertrauen in uns selbst zu entwickeln bedeutet auch Selbstfürsorge zu betreiben, zu erkennen, was uns guttut und was nicht.
Übung: Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Meditationsübungen. Experimentiere ein wenig mit den Übungen und finde heraus, welche Übung dir am besten gefällt. Dann bleibe für längere Zeit bei dieser Übung. Nach dem Prinzip. Steter Tropfen hält den Stein, du wirst immer tiefer in deine Praxis eintauchen können, immer wieder Neues dabei entdecken und dich nebenbei immer besser kennenlernen.
Nicht-Erzwingen
Achtsamkeit bedeutet, Dinge geschehen zu lassen, anstatt sie zu erzwingen. Diese Haltung fördert die Akzeptanz und den Fluss der natürlichen Ereignisse, ohne Widerstand zu leisten. Wenn wir loslassen, nehmen wir den Druck heraus und schaffen Raum für das, was gerade ist, ohne uns an Erwartungen festzuklammern. Für die Meditationspraxis bedeutet das, ohne Ziel zu meditieren. Für viele es schwer kein Ziel zu haben und oft wenden wir die Meditation an, um uns zu entspannen, zu beruhigen oder weniger Schmerzen zu empfinden. Dies sind geschenkte Ergebnisse, jedoch keinesfalls das Ziel. In der Achtsamkeitspraxis geht es nur um den jetzigen Moment, der mit alles Sinnen wahrgenommen wird.
Übung: Wenn du vor oder während deiner Meditation bemerkst, dass du Erwartungen, Vorstellungen oder Wünsche von der Meditation hast, dann spüre wieder deine Atmung und versuche den jetzigen Moment wahrzunehmen. Dabei kannst du jeden neuen Atemzug als einmalig und einzigartig betrachten.
Akzeptanz
Akzeptanz bedeutet, die Realität des gegenwärtigen Moments anzunehmen, so wie er ist, ohne zu versuchen, ihn zu verändern oder zu verbessern. Es geht nicht darum, Resignation zu üben, sondern um ein tiefes Verständnis und Annehmen dessen, was ist. Diese Haltung kann befreiend wirken, weil wir lernen, uns weniger gegen das zu wehren, was wir nicht ändern können. Gleichzeitig erkennen wir unsere Möglichkeiten, wann, wo und wie wir etwas verändern können.
Übung: Betrachte für einen Moment deine Gedanken und Gefühle. Kannst du sie wahrnehmen? Kannst du beschreiben, wie es dir gerade in diesem Moment geht? ganz Egel, ob etwas unangenehmes oder angenehmes auftaucht, erlaubst du dir selbst das anzunehmen? Erlaube dir, die Position eines Beobachters oder einer Beobachterin anzunehmen, was erkennst du? Gibt dir diese Erkenntnis die Möglichkeit die Dinge anzunehmen ohne sie zu verändern oder schaffst du Raum über die Akzeptanz zur Veränderung?
Loslassen
Oft halten wir an Gedanken, Gefühlen oder Überzeugungen fest, die uns belasten oder uns daran hindern, im Hier und Jetzt zu sein. Loslassen bedeutet, diese Dinge bewusst zu verabschieden und sich von ihnen zu lösen. Diese Haltung hilft uns, uns nicht an Vergangenem zu klammern und offen für neue Erfahrungen zu sein.
Übung: Konzentriere dich einmal nur auf deine Gedanken. Bemerke, wie viele das sind, wie sich Gedanken und Gedankengänge wiederholen, wie sich ein Gedanke ständig in den Vordergrund spielen möchte. Sind die Gedanken eher positiv oder eher negativ ausgerichtet. Gibt es eine Körperreaktion zu den Gedanken? Versuche einmal, die Gedanken vorbeiziehen zu lassen wie eine Wolke am Himmel oder wie ein Blatt auf einem Bach.
Dies waren die ursprünglichen 7 Prinzipien der Achtsamkeit, die Jon Kabat-Zinn beschreibt. Im Jahr 2013 wurden diese noch um Dankbarkeit und Großzügigkeit ergänzt.
Dankbarkeit
Bei der Dankbarkeit geht es darum, bewusst den Fokus darauf auszurichten, was funktioniert, was uns guttut und was uns bereichert. Auch an Tagen, wo wir meinen, dass nichts so richtig klappt, finden sich kleine positive Momente. Dankbarkeit öffnet uns für die schönen Momente des Lebens und an ein lebenswertes Leben.
Übung: Eine gute Übung für die Praxis der Dankbarkeit ist das Dankbarkeitstagebuch. Es gibt vorgefertigte Bücher zum Ausfüllen, du kannst die auch einfach ein leeres Heft dazu nehmen und jeden Abend vor dem Schlafengehen drei Dinge aufschreiben, wofür du heute dankbar bist. Es ist nicht wichtig, wie groß und bedeutend die Dinge an deinem Tag waren, sondern vielmehr um das Wahrnehmen an sich.
Großzügigkeit
Hier geht es darum, großzügig zu sein, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, sich selbst und anderen gegenüber. Und hier bieten sich geradezu unendliche Möglichkeiten.
Übung: Meine persönliche Lieblingsübung der Großzügigkeit sind Wünsche: Mögen alle Wesen Glück, Gesundheit, inneren Frieden und Sicherheit erleben.
Durch die Praxis und Integration dieser sieben plus zwei Säulen können wir eine tiefere und erfüllendere Achtsamkeit entwickeln. Sie unterstützen uns dabei, Herausforderungen mit mehr Klarheit und innerem Frieden zu begegnen und stärken unser Bewusstsein für das, was im Moment wirklich wichtig ist. Dabei ist ganz egal, wo wir gerade stehen oder welche Säule wir vermeintlich schon entwickelt haben. Alles ist miteinander verwoben und ineinander verflochten. Mit der Zeit werden sich alle diese Qualitäten in ihrem Tempo und zur richtigen Zeit entwickeln und auch im Außen für andere sichtbar sein.
Achtsame Grüße, Birgit Buchmayer
Pingback:KW44/2024: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society
Posted at 03:21h, 04 November[…] Die sieben + zwei Säulen der Achtsamkeit […]
melanie
Posted at 12:48h, 03 Novemberein sehr schöner artikel und informativ. die jeweiligen übungen dazu lassen einen total eintauchen und regen an, wieder ganz bei sich anzukommen.