
16 Feb. Mitgefühl – für sich selbst und andere
Ähnlich der Freude ist Mitgefühl eine starke Kraft, die wir in uns tragen und nach der wir uns sehnen. Mitgefühl verbindet uns mit anderen Lebewesen, wir fühlen mit. Beim Mitleid steht das Leid des anderen im Vordergrund. Wenn wir mitleiden, stellen wir uns auf die gleiche Leidensebene, vergessen uns selbst und machen uns damit handlungsunfähig. Mitgefühl lässt uns ebenfalls mitschwingen, wir fühlen mit, wir versetzen uns die Lage, wir leiden jedoch nicht mit dem anderen. Wir erahnen, wie es dem Gegenüber geht und stellen uns vielleicht die Frage: „Was würde ich in solch einer Situation tun? Was würde mir jetzt guttun? Was würde ich benötigen?“ Mitgefühl erlaubt Handlungsspielraum und Lösungen. Meistens ist unser Mitgefühl nach außen gerichtet und wir vergessen, dass wir uns auch selbst Freundlichkeit, Dankbarkeit und Fürsorge geben und schenken dürfen. Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere gehen Hand in Hand und können unser Leben tiefgreifend bereichern.
Mitgefühl im Allgemeinen
Mitgefühl bedeutet, das Leiden, sowohl das eigene als auch das anderer, wahrzunehmen, anzuerkennen und mit Freundlichkeit darauf zu reagieren. Es geht nicht darum, Probleme zu lösen oder alles schönzureden, sondern darum, sich selbst und anderen mit Verständnis und Güte zu begegnen. Als mitfühlender Mensch:
- nimmst du Schmerz oder Schwierigkeiten bewusst wahr, statt sie zu verdrängen.
- reagierst du mit Fürsorge statt mit Verurteilung.
- zeigst du Empathie und suchst Wege, um dir selbst oder anderen Erleichterung zu verschaffen.
Mitgefühl mit sich selbst
Wir Menschen können erstaunlich hart mit uns selbst umgehen. Da werden sogar kleinste Fehler streng verurteilt, wir sind oft voller Selbstzweifel und auch Meister darin, die eigene Erschöpfung zu ignorieren. Zu anderen können wir erstaunlich verständnisvoll und gütig sein, allerdings gelingt uns das bei uns selbst eher weniger. Dabei ist Selbstmitgefühl eine große Ressource für ein erfülltes Leben.
Die drei Säulen des Selbstmitgefühls
Die Psychologin Kristin Neff beschreibt in ihrem Buch über Selbstmitgefühl drei zentrale Aspekte:
- Selbstfreundlichkeit statt Selbstkritik: Statt dich selbst hart zu verurteilen, darfst du dir erlauben, dich mit der gleichen Wärme und Unterstützung zu umgeben, die du einem guten Freund oder Freundin schenken würdest.
- Gemeinsame Menschlichkeit statt Isolation: Jeder Mensch macht Fehler, erlebt Rückschläge und zweifelt an sich selbst. Du kannst anerkennen, dass Leiden eine menschliche Eigenschaft ist. Du bist damit nicht allein oder „falsch“.
- Achtsamkeit statt Überidentifikation: Du darfst deine negativen Gedanken und Gefühle wahrnehmen, ohne sie überbewerten oder sich komplett von ihnen bestimmen zu lassen. Schon der Satz: „Da ist Ärger, Zweifel, Trauer, Wut“ schafft Abstand. In dem Moment hast du das Gefühl, du bist das Gefühl nicht.
Selbstmitgefühl üben
- Du kannst zu dir selbst sprechen wie mit einem guten Freund oder Freundin. Stelle dir vor, wie du jemanden in einer schwierigen oder belastenden Situation unterstützen würdest. Was machst du? Was sagst du? Und spreche oder handle genauso zu dir selbst.
- Achte auf deine innere Stimme. Ersetze harte Selbstkritik durch eine wohlwollende Sprache. Statt „Ich bin so dumm“ lieber „Ich habe einen Fehler gemacht, aber ich kann daraus lernen.“
- Erlaube dir Pausen und Fürsorge: Du bist nicht nur wertvoll, wenn du etwas schaffst oder Überstunden machst. Gönn dir Ruhe, Selbstfürsorge und Dinge, die dir guttun.
- Übe Akzeptanz deinen eigenen Gefühlen gegenüber. Sei dir selbst gegenüber ehrlich und erkenne deine Emotionen an, ohne sie zu verdrängen oder zu verurteilen.
Mitgefühl für andere
Mitgefühl mit anderen bedeutet, sich in ihr Erleben hineinzuversetzen und auf ihre Bedürfnisse mit Freundlichkeit zu reagieren. Dabei geht Mitgefühl über bloße Empathie hinaus, denn es geht um mehr als Verständnis, sondern um eine Haltung der Fürsorge und Unterstützung. Wie kannst du mehr Mitgefühl für andere entwickeln?
- Aktives Zuhören: Oft brauchen Menschen einfach jemanden, der wirklich zuhört, ohne sofort Lösungen anzubieten oder zu urteilen. Die Lösung entsteht dann meist wie von selbst.
- Wertfreie Haltung einnehmen: Jeder hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Ängste und Kämpfe. Mitfühlend zu sein bedeutet, nicht vorschnell zu urteilen.
- Hilfsbereitschaft zeigen: Kleine Gesten, eine aufmunternde Nachricht, ein offenes Ohr oder praktische Unterstützung, können so viel bewirken.
- Die Perspektive wechseln: Versuche einmal, eine Situation aus den Augen der anderen Person zu sehen. Warum handelt sie so? Welche Gefühle könnten dahinterstecken?
Mitgefühl für sich selbst und andere
In unserer Gesellschaft ist es üblich, sich zuerst um andere zu kümmern und danach um sich selbst. Doch ist das wirklich die richtige Reihenfolge? Ist es egoistisch, für sich gut zu sorgen? Du kennst bestimmt die Worte des Stewart oder Stewardess im Flugzeug: Im Falle eines unwahrscheinlichen Druckabfalls setzten Sie sich zuerst die Sauerstoffmaske auf und dann helfen Sie den anderen! Und ganz genau so ist es im Leben. Wenn ich mir selbst guttue, mir Verständnis entgegenbringe und mich fürsorglich behandle, kann ich anderen mit echter Herzlichkeit begegnen. Selbstmitgefühl macht uns keineswegs selbstbezogen, sondern stärkt unsere emotionale Widerstandskraft; und das kommt wiederum unserem Umfeld zugute.
Wer Mitgefühl für sich selbst entwickelt, wird milder und liebevoller mit sich und mit anderen. Stell dir vor, wie sich die Welt verändern würde, wenn wir alle uns selbst und anderen mit mehr Freundlichkeit und echter Fürsorge begegnen würden. Vielleicht ist jetzt ein guter Moment, innezuhalten und sich folgende Fragen zu stellen:
- Wie kann ich mir selbst mehr Mitgefühl schenken? Was benötige ich?
- Wem kann ich gerade jetzt mein Mitgefühl entgegenbringen? Was wird benötigt?
Meditation der Liebenden Güte
In der Achtsamkeit wird oft die Meditation der liebenden Güte oder Metta-Meditation angewendet. Diese Meditation ist wunderbar geeignet, Mitgefühl für sich selbst und zu anderen zu entwickeln. Wenn du magst, probiere sie doch gleich mal aus.
Suche dir einen ruhigen Ort, an dem du für die Zeit der Meditation ungestört bist, und finde einen bequemen Sitz. Du kannst auf dem Boden im Schneidersitz sitzen oder auch auf einem Stuhl. Wichtig ist ein gerader Rücken, dazu kannst du dir ein Kissen in den Rücken legen und dich ganz sanft an eine Wand oder die Stuhllehne anlehnen. Die Augen können geschlossen oder geöffnet sein, wie es für dich gerade jetzt angenehm ist. Und natürlich darfst du jederzeit deine Position wechseln, wenn sie dir unangenehm oder unbequem wird.
Dann beginne deinen Atem zu betrachten. Nimm wahr wie der Atem kommt und geht, wo du eine Atembewegung im Körper spüren kannst und bleibe eine Weile bei der Atembetrachtung. Du wirst bemerken, dass sich dein Geist und deine Gedanken beruhigen.
Und nun lasse ein Gefühl der Freundlichkeit in deinem Herzen entstehen und sage oder denke zu dir selbst folgende Sätze:
Möge ich sicher sein.
Möge ich gesund sein.
Möge ich glücklich sein.
Möge ich in Frieden leben.
Denke nun an einen geliebten Menschen. Einen Menschen, der dir nahe steht oder vielleicht jemanden, der deine Unterstützung benötigt. Stell dir vor, wie ein Gefühl der Freundlichkeit sich aus deinem Herzen weiter ausdehnt und diese Person erreicht. Und nun wiederhole die Wünsche für diesen Menschen:
Mögest du sicher sein.
Mögest du gesund sein.
Mögest du glücklich sein.
Mögest du in Frieden leben.
Du kannst nun den Personenkreis erweitern. Vielleicht magst du die Wünsche an jemanden schicken, der relativ neutral ist. Einem Menschen, den du nicht so gut oder nur flüchtig kennst, wie zum Beispiel Nachbarn, Kollegen, den oder die Kassierer:in im Supermarkt an der Kasse. Schicke auch denen deine Wünsche mit dem Bewusstsein, dass auch sie glücklich sein möchten:
Mögest du sicher sein.
Mögest du gesund sein.
Mögest du glücklich sein.
Mögest du in Frieden leben.
Wenn du weitergehen möchtest, kannst du die Wünsche auch all denen schicken, mit denen du gerade Ärger erlebst oder im Streit bist. Sei gewiss, dass wir alle das Gleiche uns wünschen, wir alle möchten Glück, Gesundheit, Sicherheit und Frieden.
Mögest du sicher sein.
Mögest du gesund sein.
Mögest du glücklich sein.
Mögest du in Frieden leben.
Vielleicht bist du auch bereit, alle Wesen bei deinen Wünschen einzuschließen. Alle Menschen in diesem Land, Menschen in Europa, der ganzen Welt und darüber hinaus. Mögen sie alle glücklich und zufrieden sein. Und du kannst auch alle Tiere und Lebewesen mit einschließen, wenn du das möchtest.
Mögen sie alle sicher sein.
Mögen sie alle gesund sein.
Mögen sie alle glücklich sein.
Mögen sie alle in Frieden leben.
Bevor du die Mediation beendest, richte noch einmal die Wünsche an dich persönlich.
Möge ich sicher sein.
Möge ich gesund sein.
Möge ich glücklich sein.
Möge ich in Frieden leben.
Abschließend spüre deine Atmung, öffne die vielleicht geschlossenen Augen, orientiere dich in deinem Raum, strecke oder recke dich, wenn du das brauchst und bedanke dich bei dir selbst für die Zeit der Meditation, die du dir gerade selbst geschenkt hast.
Mögen sich alle deine Wünsche erfüllen, Birgit
Hier noch ein Nachtrag: Bitte unbedingt den Artikel von Birgit Ising zum Thema Mitgefühl und Mitleid lesen. In einer Grafik werden die Unterschiede deutlich dargestellt.
Pingback:Birgit Buchmayer | Tugenden – Quellen der Resilienz
Posted at 21:19h, 21 Februar[…] Mitgefühl für sich selbst und andere: Mitgefühl ermöglicht es uns, uns in andere hineinzuversetzen und ihnen in schwierigen Zeiten beizustehen. Es stärkt soziale Beziehungen, reduziert Konflikte und fördert unser eigenes emotionales Wohlbefinden, da es das Gefühl der Verbundenheit vertieft. Mitgefühl zu sich selbst bedeutet, sich in schwierigen Momenten mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen, anstatt sich selbst zu verurteilen. […]
Pingback:Birgit Buchmayer | Zufriedenheit – gelebtes Glück
Posted at 13:12h, 18 Februar[…] dein Selbstmitgefühl als wohlwollende Handlung dir selbst gegenüber.erlebst du weniger Stress, da Bereiche in deinem […]
Birgit Elke Ising
Posted at 14:04h, 17 FebruarLiebe Birgit,
Dein Artikel spricht mir aus der Seele. Vielen Dank dafür. Den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl klar zu haben, war für mich ein so wichtiger Entwicklungsschritt, dass ich nicht aufhöre, ihn zu predigen. Toll, den Aspekt des Selbstmitgefühls hervorzuheben! That‘s the base! Danke Dir auch für die Metta-Meditation der liebevollen Güte. Die kann Menschin nicht oft genug lesen.
Herzliche Grüße
Birgit
Meinen Artikel findest Du hier: https://birgit-ising.com/kriegsenkel-ahnentrauma/unterschied-zwischen-mitleid-und-mitgefuhl/ (Bin gespannt, was Du zur Infografik sagst) 🌸💖
Birgit Buchmayer
Posted at 14:30h, 17 FebruarVielen lieben Dank,
ich habe mir gerade nochmals deinen Artikel dazu durchgelesen und empfehle ihn auch hier allen meinen Lesern. Besonderen die Gegenüberstellung von Mitleid und Mitgefühl ist sehr wertvoll.
Ganz liebe Grüße, Birgit
Birgit Elke Ising
Posted at 10:45h, 18 FebruarAch wie wunderbar, liebe Birgit. Herzlichen Dank!